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Bericht einer Irlandtour

Eine Geschichte über abwechslungsreiches Bordessen, unbenutzbare Bustoiletten und gemeine Leprechauns
Oder: Eine unvergessen perfekte Reise voll irischer Schönheit, einer lustigen Reisegruppe, einem genial witzigen Fahrerduo und zwei klasse Reiseleitern

Es heißt ja, es gäbe nur männliche Leprechauns. Das ist natürlich totaler Unsinn, den ebenjene männlichen Leprechauns in die Welt gesetzt haben, weil wir weiblichen Exemplare uns von ihnen fernhalten. Warum? Nun ja, wer steht heute schon noch auf griesgrämige, alte Knacker mit rotem Haar und grüner Kleidung? Gut, sie haben die dicke Kohle, aber was hat man davon, wenn niemand weiß, wo sie ihre Goldtöpfe verstecken? Aber diese Wichte verstehen es einfach nicht und versuchen immer weiter uns zu erobern, während sie uns vor den Menschen leugnen. Welches männliche Wesen gibt schon gerne zu, daß seine schlechte Laune auf... nun ja, sagen wir mal auf einen Mangel an Frau zurückzuführen ist?
Habt ihr mal davon gehört, daß Leprechauns die perfekten Schuster sind und den ganzen Tag nur Schuhe herstellen, wenn sie nicht gerade trinken und rauchen (von wegen Goldtopf, man kann ihn gar nicht finden, weil es keinen zu finden gibt und alles gleich verpraßt wird)? Man sagt, sie arbeiten so hart und viel, daß die Schuhe für die ganze Anderswelt ausreichen würden. Was für ein Blödsinn, nicht für die Anderswelt, sage ich euch, für uns weibliche Leprechauns allein, ja! Natürlich begreifen sie nicht, daß wir keine Menschenfrauen sind und diese Masche nicht bei uns zieht. WIR haben nämlich keinen Schuhtick!
Und dann noch dieser Schwachsinn, daß bei jedem von einem Menschen laut ausgesprochenen Unglauben an Leprechauns einer von ihnen sterben würde. Das ist doch nur eine Ausrede, um den Menschen eine Erklärung dafür zu liefern, daß die alten Säcke ohne uns der Reihe nach abnippeln und keine jungen nachkommen, während uns Frauen selbstverständlich nicht nur eine angeborene, ewige Schönheit, sondern, unnötig zu erwähnen, auch eine natürliche Unvergänglichkeit anhaftet. Die Knaben sollten es sich also langsam mal überlegen: flottere Klamotten, Bärte ab und vor allem Gold zücken - oder adieu.

Aber laßt mich die Geschichte erzählen, wie ich endlich den perfekten Leprechaun für mich gefunden habe. Kein Zwerg, neeeein, so groß wie ein Mensch, er sieht aus wie ein Mensch, verhält sich wie einer - aber ich wußte vom ersten Moment an, daß er sich nur tarnt. Als Busfahrer. Um seinen Fahrgästen mit Würstchen und Kartoffelsalat das Gold aus der Tasche zu ziehen, nehme ich an.

Eines schönen Tages huschte ich gerade durch das Unterholz an den Ufern des Upper Lake, da, ja, da fuhr er in einem riesigen Bus an mir vorbei. Weißes Hemd und Krawatte (nicht grün, nicht alt, nein - totchic), kein Bart, spritzige Sonnebrille. Seltsamerweise hing an seinem Spiegel ein echter Leprechaun, aber was interessierte mich dieser alte Langweiler? Neben ihm saß eine kurzhaarige Frau, die ihn frech angrinste. Normalerweise wäre ich ja eifersüchtig gewesen, aber ich erkannte sogleich, daß sie es war, die die Pantoffeln anhatte und sie ihn vor allem zum Ärgern benutzte. Ich hatte also freie Bahn, und so flitzte ich dem Bus hinterher, schlich mich, als dieser endlich am Muckross House anhielt, hinein und fuhr heimlich mit ihm zum Ballyroe Heights Hotel. Ich erfuhr, daß der große Leprechaun Werner und seine weibliche Beschützerin Christiane hieß, daß die Reisegruppe bereits den siebten von zehn Tagen unterwegs war und wo sie bereits überall gewesen sind.

Als endlich Ruhe einkehrte, kroch ich aus meinem Versteck und atmete den Duft meines geliebten Leprechauns ein. Er wurde allerdings von jenem des hängenden Leprechauns am Spiegel stark beeinträchtigt, so daß mir keine andere Wahl blieb: Ich kletterte zu ihm empor, riß den noch immer unbeweglichen, alten Sack ab, so daß er zu Boden fiel und sperrte ihn in ein leeres Würstchenglas, das ich zu Füßen des Fahrersitzes entdeckt hatte. Nun war die Harmonie vollkommen, und in meiner Glückseligkeit überkam mich der Wunsch zu dichten, und ich schrieb (selbstverständlich unter meinem Pseudonym Molly Malone, schließlich hätten es die Menschen wahrscheinlich nur schwer verkraftet zu erfahren, daß es weibliche Leprechauns gab):






Oh, Werner, laß uns nochmal in Dublin beginnen,
Nach Rosslare kannst du uns immer noch bringen.
Und wenn du nein sagst, werden wir Christiane fragen,
Sie wird uns fahren und dich lachend aus deinem eigenen Bus verjagen.
Ich will noch mehr Sonnenuntergänge über der grünen Insel sehen
Und auf dem höchsten Gipfel in Connemara stehen,
Länger als zwanzig Minuten durch Waterville rennen
Und noch viel öfter im Pub herumhängen.
Komm, Werner, nur bis ich endlich einen Iren oder Briten finde,
Der mich heiratet, auf daß ich mich an seine Insel binde.
Bitte meldet euch, ihr müßt euch doch nicht schämen,
Zur Not würde ich auch einen deutschen Irlandbusfahrer nehmen.
Denn Irland hat mich gar verdorben - ja, ja, ihr lacht,
Doch laßt euch sagen: hier wurde ich zum Alkoholiker gemacht.
Drum kann ich nun auch mit ganz lockerer Zunge fragen:
Liebster Werner, bist du noch zu haben?
Ich als Frau bin völlig anspruchslos - Ringe müssen wir keine tauschen,
Mir reicht es, wenn wir über den Ring of Kerry rauschen.
Nur dein Vertrauen mußt du mir schenken,
Laß mich dein Baby über alle Abgründe lenken,
Das bißchen Nebel, das bißchen Regen, wer wird sich denn zieren?
Ist doch einfacher, als verdünnten Kakao durch den Bus zu balancieren,
Denn dieses kleine, braune Biest
Ist es doch, das unaufhaltsam durch den Bus hin schießt,
Während wir gemächlich wie die Schnecken
Um Kurven schleichen und um Häuserecken.
Als Fahrer mußt du doch nur fahren, drum machen´s ja die Männer,
Servieren jedoch ist Multitasking, nur was für weibliche Kenner.
So kann es zum Beispiel an roten Ampeln passieren,
Daß Busfahrer laut schreiend mit einem Bier nach hinten irren,
Dumm blickend, als die Frau, das Alphatier, fehlt,
Weil diese ihm vorne unbemerkt den Rücken freihält.
Das darfst du natürlich nicht bringen, sondern mußt mir deine Liebe beweisen,
Immer gut kommen bei mir lange Irlandreisen.
Und nach einem langen Tag, stell dir vor, wir beide Hand in Hand
Auf einem romantisch grünen Hügel beim Sonnenuntergang.
Dein verträumter Blick in meine Augen, doch halt - meine Birne rauscht
Vom Alkohol, ich habe dich glatt mit dem Schaf neben dir vertauscht.
Erleichtert seufzend fährt meine Hand die Beine herab,
Und ich dachte schon, deine sind so kurz und dicht behaart.
Also noch mal von vorn: Verträumter Blick in meine Augen, oh, wie gewagt,
So bitte ich dich: "Werner, sag doch zu mir, was du niemals einem Menschen hast gesagt."
Und nach kurzem Bedenken hauchst du mir säuselnd ins Ohr, fast wie ein Singen:
"Hase, soll ich dir ein Würstchen bringen?"

Ich legte das Gedicht auf den Fahrersitz und nahm den Hängeplatz am Spiegel ein. Etwas wackelig, wenn man mich fragte, aber was tat man nicht alles für seinen Schwarm, und wenn ich bzw. der fehlende Leprechaun keine Aufmerksamkeit erregen sollten, mußte es nunmal sein.
Am nächsten Tag las der Reiseleiter Jörg die Zeilen vor, doch niemand wußte, welch genialer Geist diese Lyrik kreiert hatte, und so warf leider auch niemand Goldmünzen in mein Töpfchen. Nun denn, der tosende Applaus der Menschen war mir Lohn und Freude genug, wenngleich ich gerne gewußt hätte, wen von den Gästen Werner als Dichter verdächtigte. Vielleicht unser 87-jähriges Schneckchen? Ja, das mußte es sein, wie sonst kam er am letzten Tag auf die Idee, ihr beim Frühstück einen roten Apfel hinzulegen und zu sagen: "Damit du noch kerniger aussiehst."
Der Tag verging und endete in den goldenen Sonnenstrahlen von Rosslare Harbour. Als ich abends wieder alleine im Bus war, setzte ich mich neben das Glas mit dem apathischen Leprechaun und aß eines der fünfhundert Würstchen, die ich in der Bordküche entdeckt hatte. Leckere Hausmannskost, sowas kannten die anderen Leprechaunmänner gar nicht.
Am nächsten Morgen war ich bereits früh wach und schlich mich ins St. Helen´s Hotel zu meinem Lieblingsleprechaun. So gelang es mir, den Ablauf seines Morgens zu beobachten:

6.00 Uhr: Noch müde von den Kommandos des vergangenen Tages (ein Leprechaun ist einfacher zu dressieren als eine Reisebegleiterin) steht der Busfahrer auf. Während er sich duscht, denkt er darüber nach, daß Leprechauns gegenüber Frauen eigentlich nur Vorteile haben: sie wollen nur das Gold eines Mannes und nicht sein ganzes Vermögen, sie wollen immer Sex (es gibt ja keine weiblichen Leprechauns - haha!) und haben nie Migräne, und wenn man ihnen sagt, daß man nicht an sie glaubt, fallen sie einfach tot um.
6.27 Uhr: Der Busfahrer zückt seinen Reiseführer "Busfahrer und andere Machos" und schlägt das Kapitel für den heutigen Tag auf, um vorbereitet zu sein. Drei Machosprüche über den Tag verstreut reichen, um eine Frau zum Lachen zu bringen - der Rest kommt mit dem ersten Guinness von ganz allein. Die Sprüche waren ja auch nur zur Vorsicht, falls ihn wieder eine Geschichtenschreiberin vor dem ersten Guinness anzickte.
6.30 Uhr: Plötzlich schießt dem Busfahrer pfeilschnell - wie der Kartoffelsalat in den Nacken des Fahrgastes - ein böser Gedanke durch den Kopf.
6.31 Uhr: Aufgeregt rennt er zum Bus und gibt einen erleichterten Seufzer von sich, als er feststellt, daß noch genügend Würstchen im Vorrat sind.
6.32 Uhr: Zufrieden schlurft er zurück ins Hotel. wieso starren ihn alle Leute so an? Kennt man in Irland denn keine Feinrippunterwäsche?
6.35 Uhr: Als der Busfahrer sein Zimmer erreicht, trifft er auf seine Reisebegleiterin. Die beiden bleiben zeitgleich stehen und starren sich an. Ah, denkt er grinsend, jetzt bereust du, letzte Nacht nicht mit auf mein Zimmer gekommen zu sein. Oh, denkt sie, jetzt bereue ich, letzte Nacht nicht mehr getrunken zu haben.
6.37 Uhr: Der Busfahrer zieht die Kleidung an, die ihm seine Reisebegleiterin am Vorabend herausgelegt hat. Oh ne, nicht das grüne Hemd, damit sieht er doch immer aus wie ein Leprechaun.
6.40 Uhr: Beim Frühstück schnappt sich der Busfahrer die Krücke eines Fahrgastes und spielt damit Gewehr. Die anderen lachen, doch die Reisebegleiterin kann dies nicht gutheißen und schimpft: "Kleiner, nicht! Sonst gehe ich heute an die Attrappe am Fahrersitz und du mußt auf meinen Platz und fahren."
6.50 Uhr: Der Busfahrer treibt seine Gäste in den Bus. Er macht nochmal darauf aufmerksam, nicht die Bordtoilette zu benutzen: er mag nämlich keine Würstchen (selbstverständlich nur eine Lüge).

Also ich mochte die Würstchen jedenfalls. Was ich allerdings nicht mag, ist, wenn man sich für eine Leistung rühmt, die andere erbracht haben. Da gab doch tatsächlich eine etwa dreißigjährige Menschenfrau vor (dreißig, pfff, bei den Leprechauns wäre das noch ein Kleinkind), daß siiiieeee die Dichterin meiner Poesie war, und knüpfte nun zarte Bande zu meinem Lieblingsleprechaun! Aus lauter Wut stieß ich das Würstchenglas mit dem reglosen Leprechaun um und beobachtete, wie es zum Kartoffelsalat rollte. Als sie sich dann bei Chippenham jedoch noch anmaßte, mit ihm für ein Foto zu posieren, schoß ich den lethargischen Sack in seinem Glas aus dem Bus. Ich hatte meine Heimat Irland verlassen, ich hatte englisches Feindesland betreten, und was machte diese Person? Waaass?? Ich hätte es sein müssen, mit der er sich ablichten ließ, allein ich!
Rasend vor Wut gab es für mich am Abend am Heathrow Airport, als ich erneut allein war, nur eins: Jedes, aber auch das allerletzte Würstchenglas rollte ich aus der Vorratskammer und aus dem Bus, bis sie alle zersprangen. Und ich schwöre, jede Wurst mußte dran glauben - ich habe sie eigenhändig zerstampft und dem Erdboden gleichgemacht. Danach habe ich mir einen Kakao nach dem anderen zubereitet und verdünnt. Ja, so nennt mein Lieblingsleprechaunmacho sein gepanschtes Leckerchen: verdünnt. Als der Kakao alle war, habe ich nur noch das Verdünnungsmittel getrunken, bis ich so betrunken war, daß plötzlich alles ganz klar vor mir war und mir die Lyrik nur so aus den Fingern spritzte:

Es soll ja Männer geben, wie manche sagen,
Die keine Kritik vertragen.
Immer einen Spruch auf den Lippen,
Und Frauen, die genauso sind, sind natürlich Zicken.
Kleiner Macho, um keine Antwort je verlegen,
Kleiner Macho, sei nicht immer so verwegen.

Immerhin kann er kochen wie eine Granate
Lecker Würstchen und Fertigkartoffelsalate.
Das Gästeklo aber überläßt er nicht den Gästen,
Er will lieber ihre Blasen testen.
Kleiner Macho, hast du denn keinen, der das Klo für dich macht?
Kleiner Macho, du magst doch Würstchen, Tag und Nacht.

Doch eigentlich ist er ein netter Mann,
Der nur seine Gefühle nicht offen zeigen kann,
Wie ein kleines Kind, typisch Mann,
Aber einer, über den man wenigstens lachen kann.
Also, kleiner Macho, fahr weiter, immer weiter mit dem Wind,
Und, kleiner Macho, bewahr´ dir das Kind.

Ich werde Vollbremsungen zwischen engem Gemäuer vermissen,
Busfahrer, die mit Krücken auf uns schießen.
Für jede Situation eine Musik, einen Film parat,
(Mir fehlt nur eine Würstchenwerbung mit Kartoffelsalat).
Kleiner Macho, laß uns mal wieder sehen
Und ganz romantisch Würstchen essen gehen.

Ich war am Boden zerstört: der letzte Reisetag war gekommen. Mein Kopf schwirrte mir vom Alkohol. Dennoch freute ich mich, daß sich mein Lieblingsleprechaun nicht von meiner Konkurrentin verabschiedete (ja, er warf ihr in Herne nur einen undeutbaren Blick ohne ein Lächeln zu - na ja, vielleicht hatte er herausgefunden, daß die Gedichte gar nicht von ihr gewesen sind). Und dann erkannte ich plötzlich, daß es keinen Grund zur Trauer gab, denn mein Leprechaunmacho würde in nur wenigen Tagen aufbrechen zu seiner nächsten Irlandreise, ohne meine Konkurrentin, zurück in die geliebte Heimat. Und ich schwor mir: Dieses Mal würde ich die Chance beim Schopfe packen - sollte er sich dann immer noch querstellen, würde ich zunächst auf die Bordtoilette gehen und sie mit Würstchen verstopfen und danach mit seinen Goldeinnahmen aus dem Würstchen- und Kartoffelsalatverkauf verschwinden. Zum Ende des Regenbogens. Von dem die Reisegruppe nun jede Nacht träumte, ebenso wie von ihrem märchenhaften Urlaub, der doch nie zu Ende hätte gehen sollen...

Tapadh leibh, Andor, Christiane und Jörg - und natürlich meinem Lieblingsleprechaun Werner!